PIQUET
Nelson Piquet - Eine große Karriere
Formel 1-Weltmeister 1981, 1983 und 1987! Tom Distler von Motorsport Yesterday blickt ins Rennarchiv und erinnert an die menschliche Seite des südamerikanischen Lebenskünstlers...
"Ich versuche immer das zu tun, was mir gerade Spaß macht. Jeden Tag für sich zu genießen und das Beste daraus machen. Am liebsten bin ich auf meinem Boot, auf Korsika, Sardinien oder Ibiza. Ich schwimme, surfe, segle, schaue fern oder liege herum und tue gar nichts. Und wenn ich zum Rennen komme, fühle ich mich ausgeruht und erfrischt." (Nelson Piquet, Stars der Formel 1)
Als 1978 ein Sunnyboy aus Brasilien die Königsklasse betritt, beginnt auch für mich - dem frisch gebackenen Motorsport Fan - eine aufregende Zeit. Es begeisterten die jungen Löwen, allen voran natürlich Gilles Villeneuve, Didier Pironi, Rene Arnoux und Nelson Piquet, für den ich 14 Jahre die Daumen drückte. Der Blick in die Statistik zeigt ein erfreuliches Ergebnis: Es hat sich gelohnt! Nelson gewinnt dreimal die Weltmeisterschaft, bestreitet 204 Grand Prix (24 Pole, 23 Siege, 60 Podestplätze) und liegt 1572 Runden in Führung. Mit folgender Aussage möchte ich bekräftigen, dass sich Nelson einen Platz unter den größten Piloten aller Zeiten verdient hat:
"Nelson Piquet halte ich für den besten Rennfahrer der Welt. Er hat alles was ein Champion braucht: Format und innere Gelöstheit, Konzentration auf das Wesentliche, Intelligenz, Kraft und Schnelligkeit. Daneben mag ich Nelson auch menschlich. Ich bewundere seinen Lebensstil und beneide ihn um ein paar Fähigkeiten, die er mir voraus hat." (Niki Lauda, Meine Story 1985)
Unsere Biografie
beginnt in der Stadt Rio de Janeiro, wo am 17. August 1952 ein
gewisser Nelson Souto Maior das Licht der Welt erblickt. Den Vornamen hat er von Admiral Lord Nelson. Er wächst mit Tieren auf, liebt Pferde und seinen Hund Nick. Seine
Geschwister heißen Alex, Geraldo und Gerusa. Vater Dottore Estacio
Souto Maior ist Gesundheitsminister in Brasilien und eine lokale
Größe des weißen Sports. Nelson schlägt die gelbe Filzkugel
ebenfalls sehr, sehr gut übers Netz und gilt schon fast als
Wunderknabe. An seinem 16. Geburtstag gewinnt er erstmals gegen
seinen alten Herrn und hat einen Wunsch frei. Der Brasilianer besucht
für 3 Semester eine Hochschule bei San Francisco. Nelson ist
unschlüssig über seine Zukunft. Tennisprofi, wie es der Vater gerne
sehen will? Automobilsport? Zurück in Brasilien trifft er auf Alex
Ribeiro (Formel 1-Pilot 1976/77), der eine Werkstatt betreibt,
Sportwagen, Motorräder und Karts verhökert. Nelson arbeitet mit und
steigt mit 17 Jahren in den Kart-Sport ein. Aus Rücksicht auf die
politische Stellung seines Vaters, durch dessen Adern indianisches
Blut fließt, nimmt er den Mädchennamen seiner Mutter Clotilde
Kröger-Piquet
an, die deutsche und französische Vorfahren hat. Der Erfolg lässt
nicht lange auf sich warten: Piquet wird von 1970 bis 1972
brasilianischer Kart-Meister und Sportwagenmeister 1971.
Auch die Bildung soll nicht zu kurz kommen. 1973 beginnt er Philosophie, Volkswirtschaft und Maschinenbau zu studieren. Doch die Gedanken kreisen um den Rennsport. Er träumt von Emerson Fittipaldi im Lotus, bricht ab und konzentriert sich voll und ganz auf seine Karriere. Die Rennbegeisterung wird innerhalb der Familie nicht geteilt. Der Sohn aus reichem Hause bekommt keine finanzielle Unterstützung. 1974 nimmt Nelson verschiedene Jobs an und darf beim Formel 1-Rennen im Brabham-Team aushelfen. Er macht Besorgungen und arbeitet am Wagen von Wilson Fittipaldi. Hier kommt es zur ersten Begegnung mit Carlos Reutemann. Doch dieser zeigt sich wenig begeistert: "Junge, du weißt nicht mal, wie man einen Helm putzt!" Die Antwort kommt Jahre später: "Ich war es nicht wert, deinen Helm zu reinigen, aber vielleicht kannst du jetzt meinen reinigen, da ich Weltmeister bin!" Nelson Piquet wird 1976 brasilianischer Meister in der Formel Super VW. Emerson Fittipaldi (Formel 1-Weltmeister 1972/74) rät zu einem Wechsel nach England: "Geh nach Osten, mein Sohn", sind seine weisen Worte...
"9 Siege in 10 Rennen! Diese beeindruckende Formel 3-Serie blieb auch in meinem Gedächtnis haften. Das schmale Bürscherl am Ensign-Transporter hatte ein lockeres Grinsen auf und fragte mich gleich kess nach Formel 1-Motoren..." (Dieter Stappert, MSA 1983)
Mit dem Zug und 40
000 Dollar "im Gepäck" fährt Nelson 1977 nach Bicester zu Max
Mosley. Er darf ein paar Rennen mit dem March 773 bestreiten. Erfolg stellt
sich nicht ein, aber das Geld geht langsam zur Neige. Um zu sparen,
schickt er seine frisch angetraute Ehefrau Maria-Clara nach Hause,
zieht nach Novarra (Italien) und tingelt - mit zwei Mechanikern - in
einem alten Bus durch Europa. Nelson gibt sein letztes Geld für einen
Ralt RT 1 aus. Die Entscheidung erweist sich als goldrichtig. Nach
Siegen in Kassel-Calden und Jarama belegt Piquet noch Platz 3 in der
Formel 3 - Europameisterschaft. Nächster Schritt Formel 2? Nein!
Denn Landsmann Serra will besonders clever sein, in England den Titel
holen und die britischen Formel 1-Teams auf sich aufmerksam machen.
Piquet wechselt zu ihm in die BP-Formel 3 Meisterschaft. Er wird zum
Superstar und Seriensieger dieser Klasse. Die Rivalität zwischen den
beiden Brasilianern heizt die Stimmung bis zur Weißglut auf. Chico
Serra (Formel 1-Pilot 1981-1983) hat die besseren Karten. Ab Frankreich (Rahmenrennen zum Grand Prix) fallen nur noch die
tollen Fahrten von Nelson auf. Und nach dem Massenunfall in Brands Hatch - sein Rennwagen wird in ein handliches
Blechknäuel verwandelt - ist er bekannt wie ein bunter Hund. "Der
ist wie Emerson Fittipaldi", jubeln die Engländer. Dazu die gleichen
schwarzen Haare, die gleichen dunklen Augen und das gleiche
freundliche Gesicht: Mr.
nice guy eben.
Der nette Kerl wird von BS Fabrications zum Testen in die Formel 1 nach Silverstone eingeladen und landet bei Morris Nunn im Ensign-Team, um Stammpilot Derek Daly (Formel 1-Pilot 1978-1982) zu vertreten. Nelson Piquet steht beim Debüt in Hockenheim in der vorletzten Startreihe. Harald Ertl (Formel 1-Pilot 1975-1978) dahinter im zweiten Ensign. Nelson fällt nach 32 Runden mit Motorschaden aus. Nach zwei weiteren Ausfällen neben Bret Lunger (Formel 1-Pilot 1975-1978) im veralteten McLaren M23 kommt Piquet in Monza als Neunter ins Ziel. Er ist konditionell fix und fertig: "Ich habe blaue Flecken an den Armen und Beinen. Im Hirn tanzen bei den Bodenwellen die Sterne und die Rippen schreien nach jeder Kurve vor Schmerzen." Doch Bernie Ecclestone hat schon längst ein Auge auf den schnellen Brasilianer geworfen und setzt für Kanada ein drittes Auto ein. Der Brabham mit der Nummer 66 wird Zehnter, während die Stammpiloten Niki Lauda (Formel 1-Pilot 1971-1985) und John Watson (Formel 1-Pilot 1973-1985) ausfallen. Nelson Piquet bekommt das Cockpit neben Lauda. Es wird ein Dreijahres-Vertrag mit 100 000 Dollar Gesamtgage aufgesetzt. Hilfreich war sicherlich auch, das Sponsor Paramalat gerade in Brasilien eine Fabrik baut "und Bernie mich mag", wie Nelson betont...
"Niki Lauda habe ich immer sehr gemocht. Er war stets direkt und hat nie etwas hinter meinem Rücken getan. Ich habe jeden Tag etwas Neues vom Gringo gelernt. Bei jedem Test und in jedem Training. Ich konnte ihm stundenlang zuschauen oder zuhören. " (Nelson Piquet, Auto Motor und Sport 1981)
Die erste volle
Saison - in einem unzuverlässigen Brabham Alfa - verläuft
enttäuschend. Obwohl Nelson im Training überzeugen kann (Zolder,
Dijon, Silverstone, Hockenheim und Montreal in der zweiten Reihe) und
die Duelle gegen Lauda ausgeglichen gestaltet (6:7), reichen magere 3 Punkte nur für
WM-Platz 15. Vierter in Zandvoort ist sein bestes Resultat.
Lehrmeister Lauda tritt in Montreal ab und wird durch Ricardo Zunino
(Formel 1-Pilot 1979-1981) ersetzt. Die Alfa-Motoren werden
verschrottet. Jetzt kommt Ford-Power ins Heck. Parallel zur Formel 1
läuft im Rahmenprogramm die BMW M 1 Procar-Serie.
"Auto-mit-Dach-Spezialisten" treten gegen Formel 1-Asse an und
bieten Motorsport vom Allerfeinsten. Die Start- und Preisgelder sind
hoch. Nelson ist mit dabei, beeindruckt bereits 1979 und holt 1980
den Titel. BMW-Rennleiter Jochen Neerpasch zeigt sich begeistert:
"Dieser
Piquet ist ein Supermann, der ganz cool an die Sache rangeht. Er tut
nicht mehr als nötig, bastelt nicht unnütz herum, setzt sich in
eine Ecke, denkt nach und sagt dann genau, was er will."
Die Meisterschaft 1980 ist hart umkämpft. Alan Jones sitzt im Top-Auto von Williams. Piquet wird immer stärker und gewinnt in Long Beach in beeindruckender Manier seinen ersten Grand Prix. Holland und Italien gehen ebenfalls an den schnellen Brasilianer. Die Hoffnung auf den Titel lebt. Vorletztes Rennen in Montreal: Konkurrent Jones drängt Piquet beim Start ab und löst eine Massenkarambolage aus. Nelson steigt für den Neustart ins Ersatzauto und fährt allen auf und davon. Nach 23 Runden streikt sein Motor. Jetzt ist der Weg - endgültig - frei für den "australischen Büffel." Piquet beendet die Saison mit 54 Punkten auf Platz 2...
"Ich bin glücklich Weltmeister zu sein, aber ich glaube, ich wäre über einen zweiten Platz hinter Carlos genauso froh. Für mich ist die Hauptsache, Rennen zu gewinnen oder zumindest vorne mit dabei zu sein. Der Titel ist gut für mein Team, für meine Sponsoren, für mein Land." (Nelson Piquet, Rallye Racing 12 / 1981)
Carlos Reutemann steht 1981 bereits so gut wie sicher als neuer Titelträger fest. Ein rätselhafter Leistungseinbruch bringt Piquet nochmals ins Rennen. Und Alan Jones treibt weiterhin seine Spielchen. In Zolder schiebt er Nelson - wieder mal - von der Bahn und in Monaco hetzt er ihn zum Fehler. Pech hat Piquet beim Rennabbruch in Dijon und beim Motorschaden - kurz vor dem Ziel - in Monza. Doch der Brasilianer wird immer stärker und gelassener. Er siegt in Argentinien, San Marino, Deutschland und zieht beim Finalrennen in Las Vegas (Platz 5) noch an Reutemann vorbei: "Als ich hinter Carlos lag, spürte ich, dass er schon ein geschlagener Mann war, dass er förmlich die Pfoten einzog." Nelson Piquet gewinnt die Meisterschaft im Brabham-Ford mit 50 zu 49 Punkten. Die Schattenseite: Mehr PR-Verpflichtungen, mehr Autogrammstunden, mehr Pressearbeit. Nelson schraubt sein Honorar in "astronomische" Summen und hat weitgehend seine Ruhe.Freizeit und Privatleben sind ihm wichtiger. Die neue Frau an seiner Seite heißt seit Anfang 1980 Sylvia Agusta, vormals Kaiser: "Die Frage ist nicht, irgendein Mädchen zu haben, die gibt es überall und dabei ist man dann trotzdem allein. Jet-Set-Lebenswandel, alle 14 Tage ein Rennen, dazwischen viele Termine. Mit einer festen Partnerin kann ich das viel besser verkraften." Die bildhübsche Holländerin ist quirlig und aufgeweckt. Das ehemalige Fotomodel (Mailand und Paris) schirmt ihren Nelson so gut es geht ab und kümmert sich um die kleinen Dinge des Alltags. Nelson trägt am liebsten verwaschene Jeans und T-Shirts. Sie führen ein Zigeunerleben. Mal im Strandhaus in Brasilien, in der Wohnung in Walton-on-Thames (Nahe der Brabham-Fabrik) oder im Appartement in Monaco: 17 Avenue de I Annonciade. Was Heinz Prüller (ORF-Journalist) an Piquet fasziniert: "Wie locker, bescheiden und normal er geblieben ist. Piquet ist völlig unberührt von Eitelkeit und Ruhm."
"Ich bin dankbar dafür, dass mir BMW die Chance geboten hat, die Autogiganten Renault und Ferrari zu schlagen. Dieser zweite Titel freut mich noch mehr, weil die Techniker so tolle Arbeit geleistet haben. Es war phantastisch, mit 1500 PS durch die Gegend zu rasen." (Nelson Piquet, 1983)
Die Saison 1982
beginnt mit dem legendären Fahrerstreik (Pilotenrechte) in Kyalami
recht turbulent. Bernie ist so verärgert darüber, dass er seinen
Weltmeister feuern und Hans Stuck einfliegen lassen will. Nelson ist
total frustriert: "Bei
den Testfahrten in Richard, da waren wir noch zwei Tage gemeinsam auf
dem Boot. Jeder weiß, dass man von mir alles haben kann. Und hier
macht sich keiner die Mühe, über meine Gründe nachzudenken."
Erst der neue Partner BMW kann den Brabham-Boss besänftigen. Beim
Heimrennen in Rio bricht der Brasilianer nach glanzvoller Vorstellung
(inklusive Kühlerwassertrick und nachträglicher Disqualifikation)
erschöpft auf dem Siegerpodest zusammen. Das Jahr erfordert Geduld.
Piquet steckt seine Energie in die Entwicklung des neuen BMW-Motors.
WM-Elfter mit 20 Punkten. Teamkollege Patrese fährt zumeist den
alten, zuverlässigen Ford-Motor und wird WM-Zehnter.
Erwähnenswert
ist Hockenheim: WM-Leader Didier Pironi verunfallt im verregneten
Training. Nelson kommt als Erster an die Unfallstelle und bekommt
einen Schock. Schon vor Gilles Villeneuves tragischen Unfall in
Zolder hatte er den Ferrari als "Sarg auf Rädern"
bezeichnet. Im Rennen soll ein später Boxenstopp den ersten Sieg für
BMW bringen. Piquet fährt einen großen Vorsprung heraus und wird
nach 19 Runden vom Nachzügler Eliseo Salazar im ATS-Ford (Formel
1-Pilot von 1981-1983) abgeschossen. Der verärgerte Brasilianer
packt vor der TV-Kamera die Fäuste aus. Ein Lieferwagenfahrer will
ihn abholen und an die Box bringen, doch als Nelson sieht, dass
Salazar bereits auf dem Beifahrerplatz sitzt, weigert er sich, ins
Fahrzeug zu steigen. Die beiden steigen aus und wollen den immer noch
aufgebrachten Piquet beruhigen, der diesen Moment eiskalt nutzt,
in den Lieferwagen springt und alleine davonbraust. Versöhnlich ist
nur der Sieg in Montreal und die Aussicht auf 1983. Die mangelnde
Fitness wird im Winter durch "stolze" 51 Tage auf den
Skibrettern mit Freund Harti Weirather (Ex-Abfahrtsweltmeister) und
Dieter Stappert (BMW-Rennleiter) verbessert. Inklusive Skihütte, Kitzbüheler Streif und Partyszene...
Nelson Piquet wird im Brabham-BMW der erste Turboweltmeister der Geschichte. Der Heimsieg beim Saisonauftakt ist bereits der Grundstein für eine erfolgreiche Saison. Es ist allerdings keine Kaffeefahrt, sondern ein harter Kampf mit Alain Prost im Renault-Turbo. Pech kommt auch hinzu: Long Beach (Drosselklappendefekt), Imola (Motorschaden nach Aufholjagd), Spa (Getriebedefekt), Montreal (Gerissenes Gasseil), Hockenheim (Geplatzter Benzinfilter), Zeltweg (Verstopfter Kühler) und Zandvoort: Piquet führt vor Prost. Sie fliegen mit 300 km/h auf die Tarzan-Kurve zu. Der Franzose gerät beim Anbremsen zu weit nach rechts, korrigiert nach Innen und knallt voll in den Brabham, der sich raus dreht und in den Dünen steckenbleibt. Im Juli kommen Angebote von Ferrari und Renault. Piquet zieht den armen Piccinini mit einer astronomisch-hohen Summe auf und sagt Jean Sage telefonisch ab. In Italien und Brands Hatch kehrt Nelson zurück auf die Siegesstraße. So kann in Südafrika bei sengender Hitze ein spannendes WM-Finale steigen. Piquet fährt seinen Konkurrenten gleich mal auf und davon. Prost rollt nach 35 Runden mit technischem Defekt an die Box und muss aufgeben. Da sich der BMW-Motor etwas ungesund anhört, dreht Piquet den Ladedruck zurück, winkt Patrese vorbei und fährt taktisch sicher als Dritter ins Ziel. Weltmeister mit 59 Punkten. 1530,7 Führungskilometer! Mehr als Prost und Rene Arnoux (WM-Dritter) zusammen. BMW hat nach 6 Formel 2- und 14 Tourenwagen-Titel auch die Königsklasse erobert. Nelson tröstet Alain Prost und feiert seinen zweiten Titel schlicht und einfach an der Hotelbar mit seinen Mechanikern...
"Ohne Nelson hätten wir es nicht gepackt. Denn er hat nicht nur, wenn wir oben waren, mit Selbstverständlichkeit und Ruhe die Erfolge heimgefahren, sondern er hat uns dann, wenn wir ganz unten am Zahnfleisch gewesen sind, nach oben getrieben." (Dieter Stappert, Autorevue 12 / 1983)
Ende 1983 ist Nelson
müde, "nicht des Rennes, sondern des Reisens wegen" und denkt
ans Aufhören. Doch Lauda überzeugte ihn, das die Lösung nicht der
Rücktritt, sondern ein Privatjet ist. Mit neuer Freundin
(Emanuela) und Privatpilot Bernd Konzett startet Piquet in die Saison
1984. Sein Brabham-BT53 ist schnell (9mal auf Pole), doch zahlreiche
Motor- und Laderschäden machen eine Titelverteidigung unmöglich.
Nelson kämpft,
siegt mit Brandwunden am Fuß in Montreal und in Detroit. Er wird
WM-Fünfter mit 29 Punkten. Als Teamkollegen wechselten sich Teo Fabi (Formel 1-Pilot 1982-1987), Corrado Fabi (Formel 1-Pilot
1983/1984) und Manfred Winkelhock (Formel 1-Pilot 1982-1985) ab. 1985
ist Piquet in Frankreich erfolgreich. 21 Punkte stehen für
Gesamtplatz 8. Zu erwähnen sind noch Francois Hesnault (Formel
1-Pilot 1984/1985) und Marc Surer (Formel 1-Pilot 1979-1986), die
sich den zweiten Rennwagen teilen.
7 Jahre Brabham! Es ist
Zeit für eine neue Herausforderung. Die Zwischenbilanz fällt mit 13 Grand Prix-Siegen und zwei Titel sehr positiv aus. Der Abschied fällt alles andere
als leicht: "Ich bin sehr dankbar. Brabham war für
mich wie eine Familie. Wir bleiben Freunde fürs Leben." Kein
Fahrer wird von seiner Crew so geliebt: "Nelson ist der
beste Fahrer. Er behandelte uns immer wie Freunde. Wir blieben nur
wegen ihm." Sie gründeten 1983 sogar einen
Nelson Piquet-Fanclub.
"Zwei komplett unterschiedliche Fahrer. Nelson war ziemlich intellektuell und hatte Humor, Nigel hingegen war eher ernst und nicht besonders intellektuell. Aber beide waren sehr schnell. Nelson fuhr bis ans Limit, ging aber nur darüber hinaus, wenn es wirklich notwendig war. Ich machte den Fehler, beide Autos gegeneinander fahren zu lassen." (Patrick Head, Motorsport Total 2019)
Bei einer
nächtlichen Verabredung im Mondschein erliegt Nelson im Spätsommer
1985 den Verlockungen von Frank Williams. Der Brite: "Wann
warst du zuletzt in so einer Situation?" Daraufhin der Brasilianer:
"Als ich 15 war, aber sie war viel hübscher als du." Eine
Jahresgage von 3,3 Millionen Dollar (1,9 Millionen Honda, 700 000 Canon, 700 000 Williams) und 10 000,- Dollar pro WM-Punkt
ist ein gutes Argument nach 7 Jahren beim "sparsamen"
Bernie. Piquet wird geholt um Weltmeister zu werden. Mündlich sichert Williams zu, dass Piquet die Nummer 1 im Team ist. Nigel Mansell
(Formel 1-Pilot 1980-1995) wird diese Rolle noch nicht zugetraut. 2
Wochen vor dem Saisonstart 1986 hat Frank Williams einen schweren
Autounfall. Er überschlägt sich auf der Rückfahrt von Le Castellet
(Testfahrten) zum Flughafen und liegt 3 Monate in einer Londoner
Klinik. Seine Piloten sind sich einig: "Wir fahren, kämpfen und gewinnen für dich." Patrick Head übernimmt die Verantwortung im Team...
In Rio gewinnt
Piquet gleich das erste Rennen: "Mein leichtestes Rennen, aber mein schönster Sieg." Er schwärmt vom Williams: "Leicht zu starten, sehr schnell und sehr leicht zu fahren. Super auf schnellen Strecken und in schnellen Kurven. Wirklich ein perfektes Auto." Doch dann folgen drei Ausfälle in
aussichtsreicher Position. Mansell holt auf und beginnt die WM zu
dominieren. Der Brite ist viel schneller als erwartet und "blockiert" den Brasilianer beim hart umkämpften Heimsieg in Brands Hatch. Nelson wird
nervös (Ausrutscher in Detroit), kann aber zurückschlagen (Siege in
Deutschland, Ungarn, Italien) und die Weltmeisterschaft bis zum
letzten Rennen offen halten. In Hockenheim hört er den Bordfunk von Mansell ab und biegt wenige Meter vor dessen geplanten Boxenstopp zum Reifenwechsel ab. Auf dem Hungaroring sehen wir von Piquet das Überholmanöver des Jahrzehnts. In der Startkurve außen "mit 130 Prozent Risiko" an Senna vorbei - atemberaubend und gigantisch: "Für die Fans vielleicht. Drinnen bei uns in den Cockpits ist das sehr gefährlich, doch die Streckenführung provoziert solche Aktionen. Und irgendjemand musste ihm einmal zeigen, wo es langgeht. Vielleicht mein größter Sieg." Senna ist populärer in Brasilien: "Er ist viel mehr Diplomat als ich. Er rennt dauernd zu Fernsehen und Radio, macht Pressekonferenzen, hat seinen eigenen Manager und schmeißt sein Leben weg für die anderen. Ich lebe lieber für mich. Ohne die ganze Show."
Piquet fliegt vor dem Saisonfinale nach Bora Bora - mit Anhang und Stefan Johansson. Mansell spielt ein paar Runden Golf. In Adelaide kämpften die Teamkollegen von Williams-Honda mit Alain Prost um den Titel. Als Mansell in aussichtsreicher Position ein Reifen platzt, ist der Weg für den führenden Piquet frei. Doch Williams will ein weiteres Unglück vermeiden und holt den Brasilianer (WM-Dritter mit 69 Punkten) an die Box. Ein Irrtum, wie sich später herausstellt, da der Reifen von Mansell einem Materialfehler zum Opfer fiel. Alain Prost zieht vorbei und gewinnt - 4,2 Sekunden - vor Piquet. Der Franzose staubt einen Titel ab, den er bei Stallregie im Team von Frank Williams nie erhalten hätte. Auch die Pressekonferenzen hatten einen "hohen" Unterhaltungswert. Mansell auf die Frage, in welcher Beziehung er zu Piquet steht: "Ich habe keine Beziehung mit Nelson. Ich bin ein glücklich, verheirateter Mann." Piquet zur Situation: "Ich bin nicht zu Williams gegangen, um den Wagen für meinen Partner abzustimmen, der mir dann das Siegen schwer macht. Aber ich glaube, man kann sagen, dass ich bisher zwei Weltmeisterschaften gewonnen habe. Nigel hat es bisher nur geschafft, eine zu verlieren." Der MSA-Journalist Helmut Zwickl weiß: "Williams will Nigel Mansell loswerden." Der Brite unterschreibt bei Ferrari. Doch ein Veto von Honda hält das Fahrerduo im Team...
"Für mich ist Nelson ein zweifacher Weltmeister mit großartigen Ruf. Er kann auf viele Siege zurückblicken und ist schnell. Aber so schnell bin ich auch. Manchmal sogar schneller. Als Menschen sind wir uns nicht sehr ähnlich." (Nigel Mansell, Rallye Racing 17 / 1987)
Weihnachten und
Karneval verbringt Nelson mit seiner neuen blonden
Freundin Catherine von Valentin. Sie ist eine sehr warmherzige junge Frau. Das reizende
Ex-BOSS-Werbegirl
aus Brüssel
war kurzzeitig mit Ayrton Senna liiert und beherrscht 7 Sprachen.
Von seiner Frau lässt er sich nach 7 Trennungsjahren im Frühjahr
1987 scheiden. Der gemeinsame Sohn (8) wächst bei Bruder Geraldo auf.
Söhnchen Nelson Angelo (1) ist bei seiner Mutter Sylvia in Monte Carlo.
Nelsons Körpersprache verrät, dass er mit Williams am Ende ist,
dennoch kämpft er wie ein Löwe und holt sich nach monatelangen
Schmerzen mit viel Mut und Klasse den dritten Titel. Wir blicken
zurück: Beim Training in San Marino rast der Brasilianer mit Tempo
300 ungebremst in die Tamburello-Kurve. Der Williams zerbirst mit dem Heck voran
an der Betonmauer. Piquet ist sofort bewusstlos: "Ich überhole Campos
vor den Boxen. Plötzlich wird der Wagen unlenkbar. Mehr weiß ich
nicht mehr." Die Ursache war ein Reifenplatzer. Aus der "Adelaide-Serie" mit Materialfehler. Nach einer Nacht im
Krankenhaus will er wieder ins Rennauto. Professor Sid Watkins
verweigert dem noch sichtlich verwirrten Piquet - der zudem nur einen
Schuh trägt - den Start. Nelson leidet Monate an starken
Kopfschmerzen und findet kaum Schlaf. Er spricht von einem Wendepunkt
in seiner Karriere und entschuldigt sich mehrfach für seine Launen: "Im Rennauto spürst du das natürlich nicht so. Aber in anderen Dingen. Dass du nicht mehr so bist, wie du früher warst." Piquet sammelt mit vielen taktischen
Platzierungen (darunter sieben zweite Plätze) wertvolle Punkte. Der
Brasilianer siegt in Deutschland, Holland und Italien, holt mit 73
Punkten die Meisterschaft. Teamkollege Nigel Mansell riskiert viel und kann nach seinem
Unfall in Japan die Reise zum Saisonfinale nicht mehr antreten: "Zu sehen, wie dein letzter Konkurrent im Titelkampf durch die Luft fliegt und sich wehtut, ist nicht die Art, wie ich Weltmeister werden wollte." Auch
den Psycho-Spielchen von Piquet war Mansell nicht wirklich gewachsen.
So kam es schon mal vor, dass der Brite vor Wut sein Fahrzeug neben
die Strecke stellte. Ein Interview passt gut ins Bild. Nelson wird
gefragt, warum er Salazar damals verprügelte: "Salazar musste
was lernen" war die Antwort. Daraufhin die Frage, warum er
Mansell nie verprügelt hat: "Der würde nie was lernen."
Inzwischen ist Nelson Piquet der Top-Verdiener unter den Grand Prix-Assen. Nelson lebt mit Freundin Catherine in seinem Domizil in Monaco. Lear-Jet, Yacht und Helikopter inbegriffen. Er kauft Bungalows, Appartements und Luxus-Limousinen. Genießt in Rio ein 200 Quadratmeter-Appartement. Außerhalb der brasilianischen Hauptstadt besitzt die Familie eine Ranch. Der Bruder bewirtschaftet das Land. Nelson lässt darauf einen Hangar mit Landepiste für seine neuen "Spielzeuge" bauen. Demnächst will er komplett auf seine Luxus-Yacht "Suruba" umsiedeln. Diese hat 3 Decks und einen Hubschrauberlandeplatz. Der Wert wird auf 3,5 Millionen Dollar geschätzt. Aber Piquet ist ein Millionär mit Herz: Der treue Pedro - sein Mechaniker aus Formel 3 Zeit - gab in Brasilien alles auf. Als Dankeschön kaufte ihm Nelson eine Riesenfarm bei Brasilia. Für alle Geschäftsleute, die seinen Aufstieg mitfinanzierten, wirbt er heute kostenlos. In seiner Heimat kümmert sich Nelson rührend um Waisenkinder und spendet jährlich 50 000 Dollar für ein Kinderheim. Bei Williams erhielt jeder Mechaniker pro WM-Punkt zusätzlich 50,- bis 100,- Dollar aus seiner Privatkasse...
"Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie man da Vollgas durch die Kurven fahren kann. Und erst die Geraden. Da die Lenkung auf einen leichten Linkseinschlag justiert ist, muss man auf der Geraden nach rechts lenken, um wirklich geradeaus zu fahren. Ich bin am Anfang im Zickzack herumgeeiert und war nur 185 Meilen schnell." (Nelson Piquet, Sport Auto 5 / 1992)
Ron Dennis will
Piquet - wieder einmal - zu McLaren locken, doch der dreifache
Weltmeister wechselt ins Lotus-Team und nimmt den Turbomotor von Honda
gleich mit. Dennoch ist das Auto 1988 eine ziemliche Katastrophe. 22 Punkte bedeuten für den -
plötzlich sieglosen - Brasilianer Rang 6. Mit Judd-Motoren geht es
1989 weiter bergab. Platz 8 und 12 Punkte ist die magere Ausbeute.
Teamkollege Satoru Nakajima (Formel 1-Pilot 1987-1991) holt in 2
Jahren nur 4 Punkte. So sind die 3,75 Millionen Pfund im Jahr, die
Sponsor Camel locker macht, nicht mehr als ein hohes Schmerzensgeld.
1990 (3. Platz, 43 Punkte) und 1991 (6. Platz, 26.5 Punkte) befindet
sich Nelson im Benetton-Ford auf seiner Abschiedstour. Der
Brasilianer gewinnt in Japan, Australien und Kanada. Sein
leistungsbezogener Vertrag zahlt sich aus. Die letzten Teamkollegen
heißen Alessandro Nannini (Formel 1-Pilot 1986-1990), Roberto Moreno
(Formel 1-Pilot 1987-1995) und Michael Schumacher. Rückblickend
sagte der deutsche Weltmeister, dass es sehr schön war, Teamkollege
von Piquet gewesen zu sein, weil es von ihm so viele abendfüllende
Geschichten gibt.
Die Geschichte der großen Karriere ist noch
nicht zu Ende geschrieben. Nelson verspricht seinen Fans noch einen
Auftritt beim traditionsreichsten Autorennen der Welt, dem Indy 500.
1992 will er dieses Versprechen einlösen. Der "Nudeltopf" ist
tückisch. Indy-Legende Gary Bettenhausen verrät ihm viele
Tricks. Nelson lernt schnell und fährt bei den Testfahrten - nach 3
Tagen - mit 223 Meilen bereits annähernd den Poleschnitt von Rick
Mears. Aber ein schwerer Trainingsunfall verhindert den Start. Sein
Menard-Lola rast mit 350 km/h in die Betonmauer. Die Diagnose hört
sich nicht gut an: Gehirnerschütterung und beide
Unterschenkel zerschmettert. Er scheint am Ende einer brillanten
Karriere angekommen zu sein, doch ein langer, schmerzhafter
Genesungsweg (8 Operationen) führt zum ersehnten Comeback. Piquet
steht 1993 erneut auf der Bahn von Indianapolis, muss allerdings nach
Startplatz 13 in der 38. Runde (Motorschaden) aufgeben.
Inzwischen ist Nelson Piquet ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann. Die Grand Prix-Strecke von Rio trägt seinen Namen. Nelson pflegt eine freundschaftliche Beziehung zu seinen ehemaligen Berufskollegen Niki Lauda, Emerson Fittipaldi, Ingo Hoffman, Eddie Cheever, Riccardo Patrese, Raul Boesel, Roberto Moreno und Jean Alesi. Freunde, Heimat und Familie sind das Wichtigste im Leben des Südamerikaners. Er hat 7 Kinder (Geraldo, Nelson jr., Kelly, Laszlo, Julia, Pedro, Estacio) von 4 Frauen und lebt mit Viviane Leao in Brasilia. Das Meer ist und bleibt seine Leidenschaft, auch heute noch, im nordöstlichen Ceara-Gewässer von Brasilien...
Quellen: Zeitungsarchiv Motorsport Yesterday (Grand Prix International, Sport Auto, Rallye Racing, Autorevue, Motorsport Aktuell, Auto Motor und Sport), Nigel Roebuck "Stars der Formel 1", Niki Lauda "Meine Story", Motorsport Total "Patrick Head im Interview" und Heinz Prüller "Grand Prix Story 1981, 1983, 1986, 1987".
Aufruf: Wir wollen die Erinnerung an Nelson Piquet immer aufrecht erhalten. Du kennst ihn noch persönlich und / oder willst uns deine Fotos bzw. Anekdoten für die Homepage zusenden? Dann würden wir uns sehr freuen: f1yesterday@gmx-topmail.de (Danke!)
Beat Mühry: "Die Aufnahme auf die kurze Gerade nach der Rascasse-Kurve habe ich durch eine offene Stelle der Passerelle zur Innentribüne bei der Boxeneinfahrt gemacht. Signiert hat Piquet das Foto im Werk von Benetton im Winter 90/91, nach dem ich das Foto Max Flückiger (später Chefmechaniker bei Michael Schumacher) nach einem Treffen mitgegeben hatte."
Carlos Reutemann - Der Volksheld: www.motorsport-yesterday.de/reutemann
Paul Roche - Das Interview: www.motorsport-yesterday.de/roche
Die besten Fahrer 80er Jahre: www.motorsport-yesterday.de/a80er-jahre
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