STUCK
Hans
Joachim Stuck - Der große Blonde
Der sympathische Bayer feierte große Erfolge: Langstrecken-Weltmeister, zweifacher Le Mans-Sieger, IMSA-Supercar Champion und deutscher Tourenwagenmeister. Tom Distler von Motorsport Yesterday erinnert an seine Formel 1-Karriere...
"Der fährt das Auto, dass die Fliegen und Mücken auf der Seitenscheibe kleben." (Spruch unter Motorsport-Fans) "Der Stuck , der ist auf dem Tourenwagen schon ausgelernt. Aber der fährt ja nichts anderes, der Hund." (Niki Lauda, 1973) "Strietzel lebte, wie er fuhr. So quer wie nur eben möglich, sogar auf der Geraden." (Yörn Pugmeister, MSA 2001)
Hans Stuck sr. fuhr noch gegen Nuvolari, Caracciola und Rosemeyer. Der "Bergkönig" war Europameister auf Auto Union (1934), Grand Prix-Sieger in Deutschland, der Schweiz, Tschechoslowakei und Italien. So ist es nicht verwunderlich, dass der Filius ebenfalls Benzin im Blut hat. Vater Stuck berät und gibt Tipps. Er hat im Rennmilieu viele Freunde, um den Junior gut unterzubringen. Dieser lernt schnell und zeigt im Tourenwagen eine enorme Fahrzeugbeherrschung. Werksvertrag bei Ford. Jochen Neerpasch wird sein Förderer und nimmt Stuck mit zu BMW. Jugendliebe "Mucki" begleitet ihn regelmäßig zu den Rennen. Die flotte Garmischerin ist die Tochter der erfolgreichen Skirennläuferin Annemarie "Mirl" Buchner-Fischer. Sie übernimmt als Wirtin im BMW-Wohnmobil eine verantwortungsvolle Aufgabe. Stuck gibt ordentlich Gas und sitzt bald im Formel 2. Jägermeister steigt als Sponsor ein. 1974 gewinnt der "schnelle Bayer" im wettbewerbsfähigen March-BMW die Auftaktrennen in Spanien und auf dem Hockenheimring...
"Ich flog ohne Formel 1-Test nach Argentinien und dachte mir auf der Strecke, das ist schon ein geiles Auto. Aber was mache ich jetzt? Ich ging zum Reutemann und sagte: Hallo Carlos, ich bin der Hans Stuck und neu hier. Kannst du mir mal die Strecke erklären. Klar sagte er, hat sich in sein Privatauto gesetzt, mich daneben und dann sind wir raus. Das fand ich sensationell." (H.J. Stuck, Motorsport Magazin 12/20)
Als Jean-Pierre Jarier das March-Team Richtung Shadow verlässt, holt Max Mosley den jungen Stuck in die Formel 1. Bereits ab dem dritten Rennen finden wir den "großen Blonden" mitten in der Spitzengruppe. In Kyalami folgen die ersten Punkte. Und im Regen von Jarama zeigt Stuck seine Extraklasse, zieht clever überholend durchs Fahrerfeld. Ein schleichender Reifendefekt im letzten Rennviertel verhindert einen Platz auf dem Treppchen. Er wird starker Vierter und wird zum zweiten Mal für die beste kämpferische Leistung in einem Grand Prix ausgezeichnet. Die Sport Auto titelt: Hans Stuck jr.: Deutschlands zweiter Caracciola? Ferrari, BRM und McLaren denken über eine Verpflichtung nach. Wir blicken ins Fürstentum. Ein einziger, ungestümer Überholversuch verhindert höchstwahrscheinlich eine erfolgreiche Formel 1-Karriere...
"Mein Auto war aus den Ecken heraus deutlich schneller. Weshalb machte James Hunt völlig unmotiviert vor mir zu? Es folgte mein bisher spektaklärster Ausritt. Das mir dabei nichts passiert ist, verdanke ich meinem Schutzengel und einem Laternenpfahl. An ihm blieb mein aufsteigender March mit dem rechten Hinterrad hängen, wodurch ein rückwärtiger Überschlag verhindert wurde.." (H.J. Stuck, Sport Auto 7/1974)
Stuck wieder in seinem Element, bereit erneut vom Mittelfeld an die Spitze zu stürmen. In der abschüssigen Geraden vom "Hotel de Paris" zur "Mirabeau" will der schnelle Bayer an James Hunt vorbei. Hunt sieht`s und macht unsportlich die Tür zu. Der March schleudert samt Stuck auf den Bürgersteig und ist schrottreif. Damit beginnt das Dilemma: Der Ersatzwagen lässt sich nicht richtig abstimmen, macht was er will und bricht häufig nach links weg. Die Saison ist gelaufen! Und Stuck kann sich nach starken Auftritten nicht für ein Spitzenteam empfehlen. Versöhnlicher läuft es in der Formel 2. Als "König von Hockenheim" (insgesamt 8 Siege) sichert sich Stuck im March-BMW hinter Patrick Depailler, aber vor Jaques Laffite und Jean-Pierre Jabouille den Vize-Europameistertitel...
"Meine Freizeitbeschäftigung gehört zum Familienleben. Das beginnt schon mit beinharten Pokerrunden. Meine Mutter, mein Vater und meine Freundin sind immer beteiligt. Ich bin ein Bücherwurm, fahre Motocross und treibe mich auf dem Golfplatz herum. Und wenn der erste Schnee fällt: Die Latten an die Füße und nichts wie weg..." (H.J. Stuck, Sport Auto 1/1975)
Da sich der Hauptsponsor STP (Mineralölkonzern) zurückzieht, fehlt Max Mosley für 1975 viel Geld. Stuck hat auch keins. Aber Lella Lombardi. Lavazza-Kaffe bringt die "Tigerin von Turin" ins Cockpit. Der zweite March wird an Beta Utensili mit Vittorio Brambilla verkauft. Und Stuck steht ohne Formel 1 da. Höhenflüge gibt es dennoch: "Strietzel" ist inzwischen mit der Stewardess Bärbel Noack liiert, gewinnt das 12h-Rennen von Sebring und darf ab Mitte der Saison wieder im March Platz nehmen. In Silverstone noch gut dabei, fährt er in der Eifel wieder wie entfesselt. Ohne Motorschaden wäre sogar Platz 2 möglich gewesen. Stuck stellt den March in Zeltweg auf den hervorragenden vierten Startplatz, aber fliegt im Regen nach 10 Runden ab. Vittorio Brambilla hingegen zeigt, was möglich gewesen wäre. Der "Gorilla von Monza" startet aus dem Mittelfeld, überholt alles, was ihm vor die Räder kommt und beschädigt seinen Boliden erst beim Überqueren der Ziellinie. Erster Sieg für March (Werksteam) in der Formel 1! Was wird aus Stuck? Punkte bleiben aus, doch die fahrerischen Leistungen passen allemal. Sie sichern erneut einen Platz im Team, inklusive Gehalt. Die Saison 1976 geht gut los. Beim Auftakt in Brasilien rast der "schnelle Bayer" wie in Monaco als Vierter durchs Ziel. Und im March-BMW gewinnt er zwei Formel 2-Rennen. Insgesamt bleibt Stuck allerdings etwas hinter den Erwartungen zurück und sucht sich eine neue Herausforderung. Günter Schmid will ihn zu ATS locken. Die Testfahrten sind vielversprechend. Mündlicher Vertrag! In Südafrika sitzt Stuck nochmals in einem March-Ford...
"Ich lag vorne, dann kam Tom Pryce und dahinter Jaques Laffite. Wir waren dicht beieinander. Als ich über die Kuppe kam, sah ich jemanden über die Strecke laufen. Ich riss mein Lenkrad nach rechts. Tom, der wirklich fast in meinem Getriebe saß, konnte nichts sehen und hatte keine Chance auszuweichen..." (H.J. Stuck, MSA 2002)
Schrecksekunde in Kyalami: Renzo Zorzi stellt seinen Boliden nach einem Defekt am Streckenrand der Start-Ziel-Geraden ab. Während sich Stuck mit Tom Pryce im Windschatten nähert, überqueren zwei Streckenposten die Fahrbahn. Stuck kann im letzten Moment ausweichen, doch Pryce im Shadow kollidiert mit einem Helfer und wird tragischerweise von dessen Feuerlöscher getroffen. Der Shadow schießt mt dem leblosen Pryce im hohen Tempo auf die Crowthorne-Kurve zu, berührt die Leitplanke, touchiert Laffite im Ligier und knallt auf der anderen Seite in die Mauer. Eine Tragödie. Auch für den Streckenposten Frederick Jansen Van Vuuren kommt jede Hilfe zu spät. Das Rennen läuft weiter und die Unglücke reißen nicht ab. Nach dem tragischen Privatflugzeugabsturz von Carlos Pace sitzt Stuck plötzlich im Büro von Bernie Ecclestone...
"Wie viel möchtest du verdienen? Beim Team March habe ich 2000 Dollar für ein Rennen bekommen und 1000 Dollar für ein Formel 2 Rennen. Also sagte ich: Ihr seid in der Formel 1, habt den berühmten Alfa Motor, demnach sollte ich 100.000 Dollar pro Jahr verdienen. Bernie lächelte, als plötzlich sein Telefon klingelte. Er erklärte, das war Arturo Merzario und bot mir 35.000 Dollar. Später fand ich heraus, dass ihn seine Sekretärin angerufen hatte." (H.J. Stuck - Homepage)
"Es war nicht nur mein erfolgreichstes Jahr, sondern auch mein Bestes. Vor dem Rennen in Watkins Glen teilte mir Bernie mit: Hans, wenn du das Rennen gewinnst, wirst du mein Fahrer für die nächsten zwei Jahre sein. Verlierst du, muss ich Niki Lauda nehmen, denn sie wollen einen Meister." (H.J. Stuck - Homepage)
Stuck steuert fortan neben John Watson den Brabham Alfa. Ein Handicap bleibt: Die beengten Platzverhältnisse im Cockpit. Durch seine Größe stößt er immer wieder mit den Knien an. Der Ire Watson ist im Training etwas stärker und verliert in Silverstone nach Motorschaden einen sicher geglaubten Sieg. Auch Stuck wird in Monaco (Trainingsschnellster am Donnerstag) aussichtsreich eingebremst. Der 26jährige Bayer fährt insgesamt bessere Ergebnisse ein und steht in Deutschland und Österreich auf dem Siegerpodest. Ein fünfter Startplatz in Hockenheim ist eine gute Ausgangsposition, aber einen Heimvorteil gibt es nicht, dämpft Stuck im Aktuellen Sportstudio die Erwartungen. Doch "Strietzel" ist gut unterwegs, als der Wagen immer mehr untersteuert und das Benzin knapp wird. Jetzt geht es darum, Platz 3 ins Ziel zu retten. Stuck greift immer wieder in die Trickkiste, doch zwei Runden vor Schluss beginnt auch noch der Motor zu stottern und stirbt in der Zieleingangskurve ab. Er kann den Brabham gerade noch über Ziellinie rollen lassen, erleichtert und überglücklich. In Zeltweg kommt Stuck mit der neuen, weichen Reifenmischung von Goodyear gut zurecht und fährt Topzeiten. Platz 4 in der Qualifikation und zum zweiten mal ein starker, dritter Platz im Rennen. Hellhörig wird Stuck auch, als ihn Ferrari-Teammanager Ghedini nach seinen Plänen für 1978 fragt. In Amerika steht "Regenspezialist" Stuck neben James Hunt in der ersten Startreihe...
"Stuck packt einen Spezialtrick für Regenstarts aus und fährt im dritten Gang los. In der dritten Runde reißt sein Kupplungsseil. Was tun? Er reißt die Gänge auf der wasserüberfluteten, buckeligen Strecke einfach durch. 14 Runden erlebt der Grand Prix-Zirkus eine Grotesknummer: Stuck, der Mann ohne Vertrag, führt. Als jedoch in der Bergaufkurve der dritte Gang herausspringt," dreht sich der Brabham-Alfa in die Leitplanken und bleibt entgegen der Fahrbahn liegen. (Heinz Prüller, Grand Prix-Story 1977)
Stuck ist sehr enttäuscht über sein Pech, aber gegenüber Helmut G. Müller von der ARD auch sehr optimistisch, was einen Platz in einem Topteam für 1978 anbelangt. Längere Zeit ist nicht klar, wer als Nummer 2 bei Brabham bleiben kann. Er wird aktiv, fragt bei Tyrrell (Absage) und Lotus an. Colin Chapman spricht von möglichen Verhandlungen, falls keine Einigung mit Peterson oder Nilsson erzielt wird. Er schickt auch ein Fax nach Modena und bekommt eine höfliche Absage von Montezemolo. Ferrari setzt auf Carlos Reutemann und Gilles Villeneuve. Die Optionen schwinden und Stuck landet am 27. November bei Shadow, im Vorjahr noch Grand Prix-Sieger mit Alan Jones. Sein neuer Teampartner ist Clay Regazzoni. "Jakob" und Strietzel. Eine charismatische Mischung. Beide lieben schnelle Autos und "heiße Kurven"...
"Schöne Frauen gehören zum Rennsport wie das Benzin zum Motor. Wir wilden Hunde haben a la carte gelebt. Mann, oh Mann, hatten wir es gut. Und die Mädels auch. Und dieser Schweizer, das war der Schlauste. Er hatte als erster ein eigenes Wohnmobil dabei. Das hat noch gewackelt, als das Training schon lief..." (H.J. Stuck, Bild 5/1999)
Die Späße des sympathischen Bayers sorgen für gute Laune. Doch finanzielle Engpässe - wieder einmal - verhindern größere Erfolge auf der Rennstrecke. So bleibt ein fünfter Platz in Großbritannien die magere Ausbeute der Saison. Trauriger Höhepunkt: Beim GP von Italien wird Stuck unverschuldet in den tragischen Startunfall um Ronnie Peterson verwickelt und von einem Rad samt Steckachse am Helm getroffen. Er verliert kurz die Besinnung. Verdacht auf Gehirnerschütterung. Und er verliert in Peterson einen Freund. Sein Teamkamerad im Tourenwagen bei BMW. Der Schwede hatte ihn am Mittwoch vor Monza noch in Grainau besucht. Für viele ein Vorbild und einer der letzten Großen der Gentleman-Generation. Beim letzten Rennen in Kanada stellt Stuck den Shadow auf den 8. Startplatz: Saisonbestleistung! Nach einem furiosen Start kollidiert er mit Emerson Fittipaldi. Und Villeneuve gewinnt seinen ersten Grand Prix...
"Ich hatte ein Angebot von Frank Williams, aber er war sich nicht sicher, ob ich in das Auto passen würde. Also trafen wir uns heimlich um Mitternacht in der Boxengasse. Da das Team allerdings das erste Jahr mit zwei Autos an den Start ging, hätte ich für jedes Rennen durch die Vorqualifikation gemusst. Sie hatten kein Ersatzauto und nur wenig Geld." (H.J. Stuck - Homepage)
Günter Schmid bekommt für 1979 den Zuschlag. Williams wäre die bessere Option gewesen, da der neue Reifenlieferant Michelin Ferrari und Renault ausrüstet und sich Goodyear nur noch auf die Topteams konzentriert. Für ATS bleiben zweitklassige oder gebrauchte Pneus. Dazu Lenkradbruch, Bremsdefekt und abgebrochene Räder. Mit zwei Punkten im letzten Rennen sichert Stuck dem Team für ein weiteres Jahr die Mitgliedschaft in der FOCA und die Transportkosten. Siege und Podestplätze holt sich der "schnelle Bayer" 1979 und 1980 in der BMW M1-Procar-Serie: Formel 1-Stars und Sportwagenfahrer begeistern mit spektakulären Duellen die Motorsportfans...
Quellen: Zeitungsarchiv Motorsport Yesterday, Erich Kahnt "Die Deutschen in der Formel 1", Heinz Prüller "Grand Prix Story 1974", Heinz Prüller "Grand Prix Story 1977", Motorsport Magazin und Homepage von Hans-Joachim Stuck.
"Bitte ein Interview, Herr Stommelen." - "Aber mein Name ist Stuck." - "Oh, entschuldigen Sie, Herr Stuck, aber Sie schauen dem Stommelen so ähnlich." (Gespräch zwischen Jochen Mass und einem Reporter)
Aufruf: Wir wollen die Erinnerung an die Grand Prix-Piloten der guten alten Zeit immer aufrecht erhalten. Du kanntest / kennst einige Fahrer noch persönlich und / oder willst uns deine Fotos, Erlebnisse bzw. Anekdoten für die Homepage zusenden? Dann würden wir uns sehr freuen: f1yesterday@gmx-topmail.de (Danke!)
Jochen Mass (Interview): www.motorsport-yesterday.de/mass
Derek Bell (Interview): www.motorsport-yesterday.de/bell
Rennsportgeschichte: www.motorsport-yesterday.de/f1-1960-1979
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