HAHNE
Hubert Hahne - Das Innenleben eines Rennfahrers
Hubert Hahne
erblickte am 28.03.35 in Moers das Licht der Welt und lebt heute in Genua /
Italien. Er bestritt von 1966 bis 1968 drei Läufe in der Formel 1 und wurde
Formel 2 - Vizeeuropameister. Hahne zählte in den 60er Jahren zur Weltspitze im
Tourenwagensport und untermauerte dies eindrucksvoll, als er 1965 auf der
Nordschleife als erster Fahrer die 10 Minuten - Schallmauer im BMW 2000 Ti
durchbrach.
Sie sind mir als F1 - Kommentator aus den 80er Jahren noch gut in
Erinnerung. Wie kam es dazu?
Das stimmt. Ein Jahr als Co - Kommentator mit Willy Knupp. Eigentlich hätte ich
das gar nicht machen dürfen. Ich hätte zumindest allwöchentlich mit Frank
Williams, Ken Tyrrell und den Leuten von Ferrari telefonieren müssen. Dazu
öfter mal hinfahren, um auch technische Dinge, die dort während der Woche
abgelaufen sind, gut rüberzubringen zu können. Heute lebe ich in Italien und
habe dadurch natürlich gute Kontakte zu Ferrari. Damals wohnte ich noch am
Ammersee und fuhr ins Studio nach Luxemburg. Ich musste dann ohne Live- Effekt
kommentieren. Das ist trotzdem eine wunderbare Sache, wenn der richtige
Moderator neben einen sitzt.
Die Zuschauer konnten während des Rennens anrufen und Fragen stellen...
Ja. Das war dann, wenn es im Grand Prix langweilig wurde. Auch ich habe Leute angerufen, die ein bisschen Leben in die ganze Szenerie brachten, wie zum Beispiel Hans Metzger von Porsche.
In Ihrer Rennfahrerlaufbahn galten Sie als ausgewiesener
Tourenwagenspezialist, sind aber auch Formelautos gefahren...
Ich bin im Grunde genommen alles gefahren, was vier Räder hatte. Ich war
Werksfahrer bei BMW. Es war ein sehr schönes Familienleben und ich wollte dort
natürlich auch bleiben. Zusammen mit Jackie Stewart, Graham Hill und Jacky Ickx
bestritt ich Rennen in Amerika und Europa. Ich war Gastfahrer für Ken Tyrrell
und Porsche. Im 917er konnte ich auf dem Nürburgring die schnellste Runde
drehen, bekam aber keine Starterlaubnis, da Alex von Falkenhausen (Bemerkung:
Rennleiter bei BMW) sagte, er brauche mich noch lebendig. Wir hatten halt nur
einen F2, mit dem sind wir auch in der Formel 1 gefahren, da sahen wir
allerdings gar nicht so schlecht aus.
Das waren dann die Einsätze beim GP von Deutschland 1966 bis 1970. Haben Sie spezielle Erinnerungen an diese Rennen?
Ja. 1967 konnte ich mich im Rennen bis auf Platz 3 nach vorne kämpfen. Leider
überfuhr ich dann einige Karosseriereste von Dan Gurneys Eagle, die erst einmal
unter meinen Wagen hervorgezogen werden mussten. Ich bin dabei ganz
zurückgefallen, konnte mich aber nochmals nach vorne fahren und schied nach
weiteren Problemen am Fahrzeug endgültig aus. Man konnte am Nürburgring vor
allem bei Regen gut mitmischen. Formel 1 war eine tolle Sache, eine tolle
Perspektive. Jetzt kann man es ja sagen. Ich hab dann ein solches Auto kaufen
können, mit der Hilfe von Bild, die mir sehr viel Geld geboten hatte für 1971.
Dennoch entschied ich mich 1970, nicht mehr zu fahren, weil ich gespürt habe,
hier in diesen Sport, sterbe ich.
Was war ausschlaggebend für diese Entscheidung?
Ausschlaggebend war der F2 - Lauf in Enna. Ich kämpfte mit Jacky Ickx um die Spitze und hatte ein furchtbares Erlebnis. Bereits im Vorjahr war ich in der dortigen Vollgaskurve durch einen Lenkungsschaden rausgeflogen und an derselben Stelle ist mir dann 1970 der Motor blockiert. Ich bin wieder durch die Gegend geflogen, konnte aber einen Sturz gerade noch verhindern. Da habe ich mir gedacht, du hattest jetzt zehnmal das Glück deines Lebens und sterben möchtest du nicht, trotz der ganzen Leidenschaft. BMW hatte Verständnis für meine Entscheidung und verhielt sich sehr fair, obwohl noch einige Rennen ausstanden. Das war das Ende meiner Rennfahrerkarriere, das hat sehr wehgetan. Aber dann kamen viele Entzugserscheinungen. Ich bin teilweise sogar in der Mittagspause zum Ring gefahren, um mich mit meiner MV Agusta auszutoben, dann war ich wieder ein ganz normaler und relaxter Mensch. Alles war prima und wunderschön.
Ihr
Rennfahrerkollege Jim Clark hatte 1968 am Hockenheimring leider nicht das
Glück. Wie haben Sie die traurige Nachricht erhalten und aufgefasst?
Da lag ich, oder besser gesagt, da flüchtete ich aus dem Krankenhaus. Ich hatte einen fürchterlichen Unfall beim Tourenwagenrennen auf dem Nürburgring. Ich lag im Krankenhaus und habe eine Freundin gebeten, in der Nacht zu kommen und mich abzuholen. Sie fuhr mich dann von Adenau heim nach Düsseldorf, wo das Fernsehen über Jim Clark berichtete. Das war natürlich furchtbar. Wir kannten uns gut, haben zusammen viel gefeiert und gelacht. Das war damals üblich. Nach jedem Rennen ging die große Sause los. Jimmy und Graham Hill waren die damaligen Stars. Ein furchtbarer Schock. Es war eine komische Situation, ich war vom eigenen Unfall schon down und nun auch noch das. Im Fernsehen spielten sie die schöne schottische Sinfonie, die ich darauf jahrelang nicht mehr hören konnte. Das waren solche emotionalen Erlebnisse und Tiefpunkte, die man dann aber wieder überwindet. Wie sagt man, später saß ich dann wieder im Rennauto und bin gefahren, so wie immer, das ist halt normal.
Welche Gedanken begleiten einen Rennfahrer ins und im Cockpit?
In voller Konzentration schlüpft man ins Cockpit, in dieser phantastischen
Konzentration. Da spüren sie nichts mehr, sie haben weder Angst, noch denken
sie an Frau und Kinder und wenn sie es tun, dann machen sie einen Fehler. Man
ist so konzentriert und hat im Hintergrund dieses unheimlich schöne
Glücksgefühl, man fühlt sich sauwohl, man weiß, man macht es richtig, man macht
überhaupt keine Fehler.
Wie kann man einen Fan das Gefühl vor allem vor- und während des Starts am
besten beschreiben?
Wenn ich zum Hockenheimring fuhr, fuhr ich besonders langsam, weil ich wusste,
das wird jetzt wieder eine sehr harte und gefährliche Sache. Das ist eine
Spannung, die man aufbaut, die kann man auch schlecht beschreiben. Wie wenn man
einen Bogen spannt bis zum geht nicht mehr und wenn du startest, dann lässt du
das Ding los und dann bist du auch befreit, total befreit, von allen
Schwierigkeiten, die du vorher hattest. Man ist glücklich und fühlt sich auch
todsicher. Dein Cockpit ist der sicherste Platz dieser Welt. Es ist
phantastisch. Diese Konzentration, diese irrwitzige Konzentration. Wenn man
dann in einem Rennen nicht starten kann, weil der zweite Pilot das Auto rausgesetzt
hat, dann dreht man durch, weil man einfach die ganze Spannung nicht mehr
loswerden kann. Man könnte schreien vor Zorn oder was weiß ich. Man möchte mit
dem Kopf gegen die Wand rennen und das ist verrückt. Eine unheimliche Kraft,
die man nachher gar nicht mehr realisiert und rekapituliert, man kann nicht
glauben, was man gemacht hat.
Welche Rolle spielt dabei die Geschwindigkeit?
Eine untergeordnete Rolle. Ob sie 300 km/h fahren oder 350 oder 400, das ist
doch völlig egal. Da wo sie 300 km/h fahren, da fahren sie auf der Geraden, da
relaxen sie, da haben sie die einzige Chance zu relaxen. Meine schnellste
Geschwindigkeit war 320 km/h und das war genau da, wo ich mich erholt habe. Im
F2 auf dem Nürburgring wusste ich immer ganz genau, der Flugplatz geht nicht
voll, ich fuhr in aber trotzdem voll, weil ich nach der ersten Durchfahrt
spürte, du kannst ihn in der nächsten Kurve voll fahren. Es ging eigentlich
nicht, aber man hat es trotzdem gemacht und auch geschafft. An dieser Stelle
konnte ich 2 Sekunden herausschinden, das waren einfach körperliche Highlights,
eine Kraft, die ich entwickelt habe, das ich dadurch auch ganz zufrieden über
die Ziellinie fahren konnte.
Der berühmteste Heimvorteil am Nürburgring ist der Regen.....
Allerdings. Ich bin mit Francois Cevert um den Ring gefahren, hab ihm alles
gezeigt, dann ist er mit mir gefahren und ich habe gesehen, er kann es, er ist
ein Naturtalent. Jimmy Clark ebenso, er kam das erste Mal und ist bereits nach
20 Runden schnelle Zeiten gefahren. Die schnellsten Leute haben auch den Ring
schnell gelernt. Den Heimvorteil habe ich heute auch noch, wenn ich fahre und
teste. Bei mehr oder weniger Regen oder mehr oder weniger Glätte fahre ich eine
ganz andere Line, wie die anderen Leute, die einfach den Regen gut kennen und
wissen, wie sie sich umstellen müssen.
Francois Cevert hatte eine große Ausstrahlung. Was war er für ein Mensch?
Ein fantastischer Mensch und eine großartige Persönlichkeit. Er hatte eine kleine Wohnung in Paris. Ich kannte die ganze Clique um Francois und Jean-Pierre Beltoise sehr gut. Wir haben viel gefeiert und zusammen schöne Dinge erlebt. Er hat die kultiviertesten Späße gemacht. Die Späße von Graham Hill dagegen konnte man schon nicht mehr verantworten, sie waren fast so schlimm, wie die von Dieter Quester. Das war einfach der Unterschied.
Es gibt
schon schöne Geschichten. Ein Nelson Piquet zum Beispiel tingelte einst mit dem
Wohnmobil durch Italien. Ein dreifacher Weltmeister, eine große Persönlichkeit,
die in der deutschen Öffentlichkeit, trotz Titel mit BMW, eigentlich viel zu
wenig beachtet wurde......
Eine Parallele zu Carlos Reutemann, Emerson und Wilson Fittipaldi. Man nannte
sie immer Zigeuner, denn die fuhren ja auch mit den Wohnwagen durch die Gegend.
Aber ich will zu Nelson sagen, er ist nicht der Schaumschläger- oder
Verkäufertyp wie etwa Striezel Stuck. Der Hans ist ja ein unheimlich
sympathischer Mensch und ein lustiger Typ. Der Nelson Piquet dagegen ist viel
diskreter, zurückhaltender und bescheidener. Er drängt sich nicht gerne in den
Vordergrund, hat eine ganz andere Mentalität.
Gerhard Berger konnte seinen ersten GP - Sieg 1986 in Mexiko City auf Benetton - BMW feiern. Er ist durchgefahren ohne Reifenwechsel und konnte dadurch die Konkurrenz überraschen. Es waren traumhafte Zeiten. Berger hatte die besten Verträge. Er war wohl der letzte wirklich charismatische Fahrer in der Königsklasse?
Einer der besten Typen überhaupt in der Formel 1. Er ist auch ganz gerissen und
clever. Er ist kein Angeber, trotzdem verkauft er sich gut, hat einfach gute
Instinkte dafür. Wie er in die Formel 1 gekommen ist, einfach phantastisch, hat
sehr viel Geld kassiert, wahrscheinlich dann noch mehr als Rennleiter. Reine
Cleverness, er hat das gut gemacht und hatte auch einen guten Partner mit BMW
und Herrn Reizle.
Die größte deutsche Hoffnung hieß Stefan Bellof. Er gewann seine ersten F2 -
Rennen, die Sportwagenweltmeisterschaft und hatte einen unvergesslichen
Auftritt im Regenrennen von Monaco 1984, doch dann kam Spa...
Stefan Bellof war relativ introvertiert, was aber oft vorkommt bei Rennfahrern.
Ich hatte das Gefühl, dass der einen Ickx - Komplex hatte. Ich sage das jetzt
mal als plumpes Beispiel. Wenn ich irgendwo auf eine Party kam, da waren alle
bei Ickx und keiner bei ihm. Er war wohl eifersüchtig und wollte ihn in einer
Kurve überholen, wo es nun wirklich überhaupt nicht geht. In der Eau Rouge
kannst du einen Jacky Ickx nicht überholen, denn der fährt dort voll, doch
Bellof hatte das Hähnchen aufgedreht und wollte noch voller fahren. Jacky Ickx
war einer meiner besten Freunde, es gab selten so harte Zweikämpfe zwischen
zwei Rennfahrern wie zwischen Jacky und mir im Tourenwagensport und in der
Formel 2, aber das immer unheimlich fair. Wir sprachen einige Male darüber.
Wenn er es nur geahnt hätte, das Bellof ihn überholen will, dann hätte er
gebremst, auch Jacky hätte tot sein können. Bei Jochen Mass und Gilles
Villeneuve war es ein tragisches Missverständnis, doch in der Eau Rouge war es
einfach ein richtiger Fehler, mit aller Gewalt, aber genau dort geht es nicht.
Jeder hat mal solche Fehler gemacht, aber es geht nicht immer so traurig aus,
wie in diesem Fall. Stefan Bellof war ohne Zweifel einer der größten Talente in
Deutschland.
Hatte Stefan Bellof bereits einen Vorvertrag mit Ferrari in der Tasche? Es
wurde viel spekuliert...
Das weiß ich nicht. Da hab ich noch nicht in Italien gelebt, vermutlich hätte
ich es sonst gewusst.
Auch Manfred Winkelhock war damals in der Formel 1.....
Der Manfred war ein ganz sympathischer deutscher Fahrer. Wir sind zusammen nach
Portugal geflogen, als er sein Formel 1 - Rennen im Brabham fuhr. Ich hab die
Zeit miterlebt und sagte, siehst du mein Freund, du bist jetzt plötzlich
richtig gut, weil du ein gutes Auto hast.
Noch eine letzte Frage: Menschen, die niemals an ihre Grenze gehen, leben
die ihr Leben, vielleicht aus der Sicht eines Rennfahrers, nicht in vollen
Zügen?
Das kann man nicht sagen, jeder hat eine andere Konstitution, jeder hat andere Voraussetzungen. Ich muss da von meinen Voraussetzungen ausgehen. Es gibt Menschen, die leben so ruhig und sind dabei sehr glücklich. Man sagt immer, warum kann ich nicht so leben wie meine Großmutter. Die hat immer nur gestrickt und war immer nur Happy. Das ist doch OK. Sie hat einfach andere genetische Vorraussetzungen. Ich glaube, wer sein Talent erkennt oder spürt, der entwickelt auch die Kraft, es umzusetzen. Was ich schon für Probleme hatte einen Werksvertrag zu kriegen, in einer Zeit, wo es in Deutschland nur ein paar Werkteams gab. Ich musste damals in drei Rennen (sein Jahresbudget, d. Red.) um die Europameisterschaft alles auf eine Karte setzen und gewann. Ich bekam für das vierte Rennen einen Werksmotor und schließlich den ersehnten Vertrag. Der Einstieg ist wohl der härteste Kampf, denn man ackert um Verträge und Sponsoren.
Aufruf: Wir wollen die Erinnerung an die Grand Prix-Piloten der guten alten Zeit immer aufrecht erhalten. Du kanntest / kennst einige Fahrer noch persönlich und / oder willst uns deine Fotos, Erlebnisse bzw. Anekdoten für die Homepage zusenden? Dann würden wir uns sehr freuen: f1yesterday@gmx-topmail.de (Danke!)
Jochen Mass (Interview): www.motorsport-yesterday.de/mass
Hans-Joachim Stuck (Biografie): www.motorsport-yesterday.de/stuck
Biografien & Interviews: www.motorsport-yesterday.de/reportagen
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