STORYS 1980

"Es freut mich, dass ich von Heinz Prüller als Weltmeister eingeladen wurde, die Einführung zur zehnten Ausgabe seiner Buchreihe zu schreiben. Ich habe viele glückliche Erinnerungen an meine Rennen in Österreich. Nie werde ich meinen Sieg 1977 vergessen, meinen ersten Sieg in einem Weltmeisterschaftslauf..." (Alan Jones)

Danke Grand Prix Story 1980
Danke Grand Prix Story 1980

Rezension - Die Stimme von Heinz Prüller begleitete mich durch die Jahrzehnte. Bis zum Jahr 2000 kommentierte der Österreicher bereits über 500 Formel 1-Rennen. Eine absolute Kaufempfehlung für gemütliche Winterabende ist seine Grand Prix-Story! Nachfolgend ein paar Anekdoten und Fahrer-Storys (etwas gekürzt und umgestaltet) zur 1980er Ausgabe: ...

Beim Auftaktrennen unter Argentiniens glühender Sonne bricht gleich mal der Streckenbelag auf. Trotz mehrerer Dreher und Boxenstopp balanciert Alan Jones im stark dezimierten Fahrerfeld seinen Williams als Erster ins Ziel. Auch die Strecke von Interlagos ist sehr uneben. Zu gefährlich?! Fahrerabstimmung: 13:13! Was tun? Sanfter Druck von Bernie Ecclestone hilft: "Es wird gestartet." Die Renaults dominieren. Nach Ausfall Jabouille siegt Rene Arnoux, der sein Glück kaum fassen kann. In Frankreich stürmisch gefeiert flüchtet Arnoux so rasch er kann aufs Land zu Freundin Nelly in sein selbstgebautes Bauernhaus. Der Zweite sitzt im Lotus. Elio de Angelis ist zwar selbstbewusst, aber für einen Italiener auffallend cool, still, ernst, fast scheu. Er wirkt unrasiert, trägt meist weiße, langärmlige Hemden und erweckt damit den Eindruck: Da ist einer von der letzten Party übriggeblieben. Doch de Angelis überstrahlt fahrerisch sogar Andretti. Ab Sommer holt Colin Chapman noch einen dritten Mann ins Team: Nigel Mansell aus Birmingham, der im Zirkus auffällt, weil er immer so freundlich grüßt...

Deja-vu in Südafrika. Für Osella startet der zweiundzwanzigjährige Eddie Cheever aus Phönix, Arizona, wohnhaft in Rom. Ein schlaksiger Bursche mit mädchenhaften Zügen. Wie ein karibischer Sonnenuntergang: Still, sanft und verträumt. Als Rennfahrer mit vollem Einsatz, hungrig nach Erfolg. Rennverlauf: Renaults programmierter Weltmeister Jean-Pierre Jabouille führt locker 61 Runden und steht nach einem Reifenplatzer erneut mit leeren Händen da. Wieder übernimmt Arnoux den Platz an der Sonne. Im Kreis der französischen F1-Piloten, die durchweg aus besseren Familien kommen, ist Rene Arnoux ein Außenseiter. Jahrelang lebte er bettelarm im Wohnwagen. Dann der harte Weg nach oben und jetzt WM-Leader...

Nelson Piquet ist fahrerisch die größte Entdeckung des Jahres. Den Vornamen hat er von Admiral Lord Nelson, den Familiennamen von der Mutter. Mit 7 Jahren übersiedelte die Familie von Rio in die neue Hauptstadt Brasilia, wo sein Vater Gesundheitsminister wurde. Ehefrau Maria-Clara, mit der er einen dreijährigen Sohn hat, ist nicht mehr an seiner Seite. Inzwischen lernte Nelson eine aufregend hübsche, sehr nette Holländerin namens Sylvia kennen, die den Rennsport ebenso mag. Windsurfen wird zum Hobby und der ungeliebte Stadtkurs von Long Beach zur Sternstunde. Neslon Piquet im Brabham dominiert Training und Rennen, fährt auch die schnellste Rennrunde. Überschattet wird der Grand Prix von einem tragischen Unfall: Clay Regazzoni, der letzte Abenteuer-Rennfahrer. "Ein Mann wie ein Erdbeben und der letzte vom alten Schlag" wie Alan Jones sagt. Ein ungewisses Schicksal. Ein Leben im Rollstuhl? Regazzoni wird Ende Oktober in seine Heimat nach Lugano entlassen und kämpft um ein Wunder...

In Zolder folgt die Sternstunde für Didier Pironi im Ligier. Dazu knallt der Pariser Fabrikantensohn mit trotzigem Bubengesicht im Aufwärmtraining gleich mal Bestzeit hin und gewinnt das Rennen mit Bombenvorsprung. Cool, kontrolliert, nie überschäumende Emotionen, doch während der "Marseillaise" mit ungewohnten, stillen Tränen. Ein heißer Tipp für den WM-Titel. Der Bursche aus reichem Haus besuchte eine Hochschule und studierte Astronomie. Seine bedingungslose Härte und Zweikampfstärke kommt von Judo- und Schwimmwettkämpfen. Ein athletischer Muskelmann mit 83 Kilo. Sein Teamkollege ist der zähe, drahtige Jaques Laffite. Während die meisten Piloten Fliegengewichte sind, finden wir in Pironis Gewichtsklasse nur das Williams-Duo Jones und Reutemann. Didier Pironi ist am liebsten in St. Tropez an der Cote d`Azur, wo seine Eltern eine Villa am Meer haben. Er gründete in Monaco eine Bootsfirma, besitzt Rennboote, Motorräder, einen Mercedes 600 Pullmann und ein Privatflugzeug. Seine Wurzeln führen nach Udine / Italien...

Monte Carlo: Ein Indianer auf dem Siegespfad! Pironis Überlegenheit und Cleverness - gemessen an Laffite - ist unheimlich. Er hämmert auch in Monaco die Bestzeit in den Asphalt. In seinem Schatten lauert Carlos Reutemann. Der Argentinier war nie ein Party-Löwe, im Gegensatz zu seiner Frau Mimicha, die das High Life rund um ein Grand Prix-Wochenende genießt. Er verkriecht sich lieber mit seinen Trainingsprotokollen ins Hotelzimmer und lässt sich vor dem TV ein Steak mit Salat schmecken. Während Derek Daley beim Start über ein paar Autos fliegt, dominiert Didier Pironi, bis bei einsetzenden Nieselregen in Runde 55 der Gang raus springt und sein Ligier in die Leitplanken schlittert. Die Superfahrt bleibt unbelohnt. Und Reutemann kann sich seinen Wunschtraum vom Monaco-Sieg erfüllen...

Alan Jones kehrt in Frankreich und England auf die Siegesstraße zurück, setzt sich in der WM-Wertung etwas ab. Der Australier fuhr bereits erfolgreich Go-Kart und träumte schon früh vom Weltmeistertitel. Dazu benötigte er zweierlei - Geld und England: "Ich zigeunerte mit meinem Freund McGuire nach London. Wir beschlossen, Wohnmobile zu verkaufen. Es wurde ein Bombengeschäft." Jones wurde Profi, raufte, boxte und strampelte sich nach oben. Smart, bullig, aber nicht allzu sportlich. Seine Frau Beverly unterstützte ihn von den Boxen aus. Adoptivsohn Christian ist 2 Jahre alt und schon total autoverrückt. Inzwischen hat Alan Jones weitere lukrative Geldanlagen entdeckt: Einen Weinhandel und eine Schaffarm mit 1500 Tieren in Australien. Häuser in England, Kalifornien und in der Schweiz. McGuire blieb Privatrennfahrer und verunglückte in Brands Hatch. Dort läutet Didier Pironi das Raketenzeitalter mit seinen Bestzeiten ein. Er fährt im Stil eines Champions, den Titel halb im Sack, doch es bleibt bei einem Sieg und 4 (Rück-) Ausfällen in Führung liegend. So rückt die Weltmeisterschaft in weite Ferne...

Der schönste Tag im Leben von Patrick Depailler war jener, als er 1967 zu Hause in Clermont Ferrand seine Koffer packte und mit einem Dreijahresvertrag als Mechaniker-Pilot in die große weite Welt des Automobilsportes aufbrach. Jody Scheckter sagte über ihn: "Für mich ist er der typische Franzose und der perfekte Grand Prix-Fahrer. Sein ganzes Leben ist ausgefüllt von schönen Mädchen, gefährlichen Hobbys und schnellen Autos." Doch Patrick Depailler verunglückt bei Testfahrten in Hockenheim. Er hinterlässt einen siebenjährigen Sohn Namens Loik. Eine Woche später rast das gesamte Fahrerfeld wieder durch die Ostkurve. Mit zusammengebissenen Zähnen, da ihnen die Fliehkraft die Kiefer auseinandertreibt. Es siegt Laffite und in Österreich endlich Jabouille...

Niki Lauda kommentiert die beiden Grand Prix im Fernsehen. Eigentlich hat er gar keine Zeit, sitzt von Montag bis Freitag in seiner Fokker und fliegt Passagiere durch die Welt. Am Wochenende dann im Büro: "Ein Großraumflugzeug (DC-10) soll für 55 Millionen Dollar hinzukommen." In Hockenheim plaudert der Doppelweltmeister beim ZDF für 3000,- DM Gage. Bei uns in Zeltweg nach zähen Verhandlungen für 7000,- Schilling: "Ich erzähl alles, was die Fahrer sich während des Rennens denken. Vom Magenweh bis zum Durchfall kurz vor dem Start, vom hohen Puls in der Aufwärmrunde." Jochen Mass kreiselt im Training in der Texaco-Schikane von der Strecke, überschlägt sich zweimal seitlich im Kukuruzfeld und bleibt mit den Rädern nach oben liegen. Riesenglück, doch an den Start ist nicht zu denken. Frust im Arrows, aber Vorfreude im Privatleben: Seine südafrikanische Freundin Esti erwartet ihr zweites Kind. "Ich weiß", bestätigt Mass grinsend, "ich habs in der Bild-Zeitung gelesen..."

Die Kurvengeschwindigkeiten werden mit den Flügelautos immer höher. Der Salto mortale im Formel 1-Zirkus ist die Tarzan-Kurve von Zandvoort. Mit fast 300 Stundenkilometer fliegen die Fahrer auf ein Nadelöhr zu. Die Kurve verträgt nur etwa 140 Stundenkilometer. Bremspunkte? "Bei der 100-Meter-Marke juckts dich an Händen und Füßen", verrät mir Keke Rosberg, "aber du überwindest dich und springst erst bei 90-80 Meter in die Bremsen." Bei John Watson im McLaren klappt das Bremspedal bis zum Boden. Voller Aufprall! Ich sitze über eine Stunde an Watsons Bett im Lazarett: "Das reißt dir alle Luft aus den Lungen, alle Kraft aus dem Körper. Der schwerste Unfall meiner Karriere." Sein Teamkollege Alain Prost wirkt auf den ersten Blick nicht unbedingt sympathisch. Die Nase lässt auf einen Ex-Boxer tippen, aber Boxen ist wahrscheinlich der einzige Sport, den er nicht betreibt. Der kleine Franzose ist charmant, pfiffig und meist gut aufgelegt, verfügt über ein enormes technisches Wissen und logisches Denkvermögen. Viele sagen: Trotz Laffite, trotz Pironi, trotz Arnoux: Der beste Franzose wird Prost...

Nelson Piquet siegt in Holland, siegt in San Marino (im direkten Duell mit Jones) und macht die WM wieder spannend. Die Fans jubeln und verfolgen den Brasilianer. Dieser springt über Zäune, Mülltonnen, fliegt fast über einen Besen und rettet sich ins Parmalat-Wohnmobil, da Sante Ghedini gerade noch rechtzeitig mit dem Schlüssel kommt. Er jubelt: "Piquet wird Weltmeister." Alan Jones hat ihn längst analysiert: "Dieser Kerl ist immer da, hängt wie eine Klette an mir, lässt sich nie abschütteln und hamstert meist unauffällig seine Punkte." Und das Wichtigste (wir befinden uns in Imola): Didier Pironi unterschreibt für 500000,- Dollar Jahresgage einen rechtsgültigen Vertrag bei Ferrari. Der Franzose kehrt still und würdevoll vor sich hin grinsend zurück zu seinem Team. Ligier fällt aus allen Wolken und Laffite ist perplex: "Didier ist verrückt. Bei uns hat er alles, um Weltmeister zu werden, aber dort?

Gilles Villeneuve verrät mir das Geheimnis seiner Raketenstarts (und Karambolagen): "Während meiner Snowmobil-Zeit waren zumeist 100 Rennfahrer am Start, 40 davon in der ersten Reihe. Überleg dir mal, wie viele Startrempeleien es da gegeben hat." Seinen aktuellen Formel 1-Frust reagiert er beim Hubschrauberfliegen ab. Gilles Villeneuve fliegt regelmäßig von Monaco nach Maranello, unter der Radargrenze und immer der Autobahn nach. Einmal wird der Kanadier von einem Aufklärer verfolgt, da er irrtümlich auf einen Militärflugplatz landete. Im Winter besucht er so manches Weltcup-Abfahrtsrennen, um seine Freunde Ken Read (Sieger Kitz, Wengen) und Steve Podborski (Olympia-Dritter) zu treffen. Die Ski-Stars sind auch häufig im Rennzirkus anzutreffen. Read zeigt grinsend auf den Ferrari: "Da ist der dritte verrückte Kanadier..."

WM-Entscheidung in Montreal: Nelson Piquet schaut auf der Pressekonferenz schon sehr championlike aus. Er parliert englisch, spanisch, französisch und italienisch. Ein funkensprühendes Energiebündel in Hochstimmung. Alan Jones wurde schon das halbe Jahr als "angehender Weltmeister" gefeiert und hat den Druck auf seiner Seite. Doch der "australische Büffel" wirkt nach seiner "Zandvoort-Blödheit" und Imola-Niederlage wieder ruhig und gefasst. Piquet steht auf Pole, Jones daneben. Ein direktes Duell um den Titel. Der Start ist extrem wichtig. Jones kommt etwas besser weg: "Die erste Kurve geht voll, aber nur, wenn du auf der Ideallinie bist - wie ich." Er schlägt aus wie ein wilder Büffel und drückt Piquet ab, der eine Kettenreaktion auslöst. Rennabbruch und Neustart: Nelson Piquet fällt im Ersatzauto zunächst etwas zurück und fährt bis zum Motorschaden in Runde 24 (der erste für Brabham in diesem Jahr) allen auf und davon. So gewinnt Alan Jones und ist Champion!!!

Alan Jones verbringt seine ersten Minuten als Weltmeister still und fast emotionslos im Williams-Wohnwagen. Was bedeutet der Titel für dich? "Alles, wirklich alles auf der Welt." Australiens erster Champion seit Jack Brabham feiert mit ein paar Dosen Bier auf der "TAG-Sponsoren-Party." Nelson Piquet treffe ich in der halb-finsteren Garage auf einer Öltonne hockend. Enttäuscht, aber gefasst: "Ich hatte ein sehr gutes Jahr, wurde Pro-Car-Meister und gewann drei Formel 1-Rennen. Was will ich mehr für meine zweite volle Saison." Und was sagt seine Sylvia? "Ob Weltmeister oder nicht, für mich war nur eins wichtig: Dass Nelson aus dieser Rennsaison gut und gesund zurückkommt..."

Quelle: Heinz Prüller Grand Prix-Story 1980 (Bearbeitung: Tom Distler von Motorsport Yesterday)