STORYS 1978

Motorsport Yesterday: Anekdoten und Fahrer-Storys 1978

"Mein Traum, Weltmeister zu werden, ist wahr geworden, wenn es auch nicht einfach war. Ich bin Colin Chapman und dem Lotus-Team für die Unterstützung beim Erringen des begehrtesten Titels im Automobilsport so dankbar." (Mario Andretti, 1978)


Danke Grand Prix Story 1978
Danke Grand Prix Story 1978


Rezension - Die Stimme von Heinz Prüller begleitete mich durch die Jahrzehnte. Bis zum Jahr 2000 kommentierte der Österreicher bereits über 500 Formel 1-Rennen. Eine absolute Kaufempfehlung für gemütliche Winterabende ist seine Grand Prix-Story! Nachfolgend ein paar Anekdoten und Fahrer-Storys (etwas gekürzt und umgestaltet) zur 1978er Ausgabe: Andretti, Nummer 1. Ein Weltmeister mit Trauerflor...

Monza Autodrom. Ewig auf diesen Tag gefreut. Tragische Massenkarambolage um Teamkollege Ronnie Peterson am Start. Chaos, Strafminute, Weltmeister! Ich treffe Mario Andretti drinnen im schwarz-gold-lackierten Wohnbus, traurige Augen und zusammengekauert im hintersten Eck: "Ich hab Durst", sagt er zum blonden Lotus-Girl Ann mit matter Stimme. "Nein, keinen Champagner. Wasser oder ein Bier."

Wenige Tage vor dem Saisonstart in Buenos Aires: Strahlender Sonnenschein! Familienausflug der Reutemanns im Motorboot auf dem Rio Parana bei Santa Fe. Plötzlich ein fürchterlicher Sturm! Das Boot zerlegt sich langsam in seine Bestandteile. Der argentinische "Renngott", seine Frau Minicha und die beiden Töchter (7/3) retten sich gerade noch auf eine kleine Insel. Suchmannschaften entdecken durch Zufall die Wrackteile. Rettung nach 13 Stunden...

"Kein Trick ist Carlos Reutemann fremd. Er lebt im Jimmy Conners-Stil, benutzt andere Hotels als seine Konkurrenten, isoliert sich und lernt gegen seine Natur zu hassen" verrät mir Journalist Esteban Garcia. Zur Zeit der Fußball-WM versäumt der Ferrari-Pilot keine Matchübertragung, auch nach Mitternacht nicht...

Am Glücklichsten wirkt Lauda bei Brabham und Ronnie Peterson bei Lotus. "Wie in alten Zeiten: Schwarz und Gold", lächelt er. "Ich möchte um jeden Preis, dass Mario heuer Weltmeister wird. Und nächstes Jahr bist du dran" versichert Colin Chapman. Das Rennen wird zum Solo für Andretti...

Backofenhitze in Rio. Beim Dösen in der zauberhaften Bucht von Ipanema wird Mario Andretti die Armbanduhr entwendet. Währenddessen streckt Rupert Keegan einen Kellner nieder. Die neue Strecke ist in eine Sumpflandschaft gemeißelt. Glühende Pedale und Schalthebel. In alle Autos werden Luftschläuche und Trinkflaschen eingebaut. "Die heutige Jugend hält ja nichts mehr aus" meint Clay Regazzoni kopfschüttelnd. Auch "Indianer" Reutemann findet es nur angenehm warm und gewinnt überlegen...

Ferienstimmung in der Kyalami-Ranch: Regazzoni duelliert sich auf dem Tennisplatz mit Jaques Laffite (6:4, 10:8) und Andretti döst mal wieder in der Sonne. Niki Lauda befindet sich derweil auf Blitzsafari im Krüger-Park. Das Rennen wird zum Krimi, den Ronnie Peterson nach langer Führung von Patrese (Motorschaden) für sich entscheidet. In den schwedischen Zeitungen ist dies allerdings nur eine kleine Notiz wert, da alle nur Ski-Champion Ingmar Stenmark nachrennen...

Geburtsstunde eines Superchampions? Die Italiener feiern Riccardo Patrese schon als den neuen Ascari. "Er ist unheimlich sensibel, ganz sanft zum Auto, aber aggressiv gegen jeden Gegner und brutal im Zweikampf" formuliert Alan Rees von Arrows. Früher stand Patrese noch erfolgreich auf Skiern, bis die Mama ein Machtwort sprach: "Du ziehst nicht in die Berge, sondern bleibst daheim in Padua." Der brave Sohn blieb im "Trockenen" und debütierte 1977 in der Formel 1...

Niki Lauda hat seinen Ferrari-Nachfolger - so mein flüchtiger Eindruck - noch nicht ins Herz geschlossen. Wo Gilles Villeneuve ist, weht immer ein Hauch von Kanada. Familienatmosphäre, Wohnwagen hinter der Box, die kochende Frau, manchmal die Kinder. Ursprünglich sollte er für McLaren fahren, doch Teddy Mayer zog Patrick Tambay vor, da Villeneuve in Silverstone drei Dreher produzierte: "Das beweist mir, der Mann ist überfordert." In Long Beach steht der "Kleine" prompt in der ersten Startreihe. Er führt bis Runde 39 und fliegt dann über Regazzonis Shadow ins Aus. Teamkollege Carlos Reutemann gewinnt. 18:18 steht es im WM-Duell gegen Andretti vor Monte Carlo...

Im 69. Anlauf endlich Patrick Depailler! Die fünfte Saison beim gleichen Brötchengeber. Doch Ehefrau Michele ist seiner Affären müde geworden. Trennung bereits im vergangenen Herbst. Kettenraucher Depailler ist jetzt mit einer englischen Rennfotografin zusammen. Teamkollege bei Tyrrell ist Didier Pironi. Neuling, doch schon längst beständiger Ankommer in den Punkten. Er sieht aus wie der frische, natürliche, kräftige Bursch vom Land, stammt aber aus reicher Familie. Vier Generationen von Pironis wohnen außerhalb von Paris wie in einer Mafia-Burg zusammen...

Der ehemalige Skirennläufer Patrick Tambay fuhr gegen Bernhard Russi und fährt jetzt McLaren: "Mit James Hunt auszukommen ist leichter, als ich dachte. Er ist mir lieber als ein versteinertes Pokergesicht als Nr. 1, wie es Villeneuve bei Ferrari hat. Wenn ich rennfahre, glaub ich immer, ich sei nur Kameramann und würde das Rennen filmen. Je besser ich fahre, desto langsamer ist der Film. Und wenn ich besonders gut fahre: bis zur Zeitlupe." Der Franzose mit dem Filmstar-Look wird immer mit dem jungen Louis Jordan verglichen, hat aber mehr Härte, als viele ihn zutrauen...

Ab Zolder startet die Siegesserie vom Lotus 79 mit Mario Andretti, geboren in Montana bei Triest. 7 Farmen verlor die Familie 1948, als das Land in jugoslawischen Besitz überging. Dann Flüchtlingsbaracken, Autostoppfahrten nach Monza und Emigration 1955 nach Amerika. Mit Zwillingsbruder Aldo domminiert er auf Anhieb die Stock Car-Szene. Sein schönster Sieg? 1964! Was? Die US-Staatsbürgerschaft! Stück für Stück kauft die Andretti-Sippschaft die "Victory-Lane" von Nazareth. Eigener Landsitz mit Privatsee, Flugzeug, 27 Autos, Motorräder, Motorboot und Snowmobile. Dee-Anne, seine Frau, einst der Prototyp des Pin-Up-Girls, sehr blond, sehr sexy - jetzt ganz italienische Mama...

Brabham probiert alles. Gordon Murray bastelt an einem "Anti-Lotus" mit Ventilator am Heck. Der "Staubsauger" muss allerdings nach seinem Debüt-Sieg in Schweden die Formel 1-Bühne (Abstimmung 2:3) schon wieder verlassen. Niki Lauda war bis jetzt der schnellste Fahrer. Er ist kein Playboy, klopft keine großen Sprüche, wirkt kalt und berechnend und scheint keine Nerven zu haben. Das Volk will seine Helden anders. Dennoch ist es Lauda gelungen, die wahrscheinlich populärste Figur im europäischen Sportgeschehen zu werden.

Der Lauda-Haushalt: Zur deutschen Dogge "Baghira" kommt 1978 "Balu" hinzu. Stammbaum? "Mir ist nur wichtig, wie der Hund watschelt und ob er freundlich schaut." Marlenes Wunsch, aus der Schweiz zwei Schimpansen zu holen, lehnt er dankend ab. Dressman? "Am liebsten hab ich immer das gleiche Gewand. Wenn ich in der Früh aufsteh und die Hose liegt am Boden, das taugt mir..."

"Niki war schon als Gegner ein Freund, sicher bleibt er es auch als Teamkamerad" sagt John Watson. Ein Pechvogel? Seine "verlorenen Rennen" sind 1977 so eindrucksvoll, dass ihn die Engländer zum "Fahrer des Jahres" küren. Er ist ein Romantiker und dementsprechend oft unglücklich verliebt. Etwa in Nina Rindt oder den Filmstar Sydne Rome...

Irgendwann resigniert auch Lauda: "Der Mario Andretti müsste sich schon ins Spital legen oder vielleicht erschlägt ihn seine Frau - anders besteht keine Chance, ihn heuer noch aufzuhalten." Wirklich Druck kommt nur vom Stallgefährten Ronnie Peterson, der den Weg zurück an die Weltspitze findet. Seine akrobatische Wagenbeherrschung ist Vorbild für viele Nachwuchsfahrer. Sein Mut grenzenlos. Wohnort Monte Carlo! "Ich lebe in einem Weiberhaushalt" grinst Ronnie, "Barbro, Nina Louise und das Kindermädchen." Der Schwede sammelt exotische Fische, hat aber selber fürs Wasser wenig übrig...

"Ronnie hat sich als ein phantastischer Kerl erwiesen, als echter Gentleman in heiklen Dingen und vor allem als perfekter Teamkamerad" berichtet Mario Andretti, der nach Monza nicht mehr der Gleiche ist. Die "heiteren Gesichtszüge eines toskanischen Engels" (Yörn Pugmeister) sind verloren. Er ist ernst geworden und in der Grand Prix-Familie macht sich verstärktes Sicherheitsdenken breit. Als Ersatzmann für die letzten beiden Rennen wird Jean-Pierre Jarrier verpflichtet. Der oft etwas zerknirscht wirkende, etwas tolpatschige und lustlose Franzose kann jedoch in einem Spitzenauto sehr schnell sein...

USA-Sieger Reutemann und Niki Lauda fahren in Montreal beide ihren 100. Grand Prix. Doch ganz Kanada ist verrückt nach Gilles Villeneuve. Überall Villeneuve, von der ersten bis zur letzten Seite, von Programmbeginn bis Sendeschluss. Jarrier stellt den Lotus prompt in die erste Startreihe, führt nach Blitzstart und grandioser Alleinfahrt bis zur Aufgabe (Leck im Ölkühler) in Runde 49. Aufschrei der 150000! Verfolger Villeneuve wird der am stürmischten gefeierte Sieger des Jahres! Ausblick: 1979 hat Mario Andretti keinen mehr, der ihm den Rücken deckt, denn dort lauert jetzt ein "Indianer"...

Quelle: Heinz Prüller Grand Prix-Story 1978 (Bearbeitung: Tom Distler von Motorsport Yesterday)